BUND Kreisverband Stuttgart

Tag der sozialen Gerechtigkeit: was der Klimawandel damit zu tun hat?

19. Februar 2021 | BUND, Globale Gerechtigkeit, Klimawandel

Eine liberale Gesellschaft garantiert Selbstbestimmung, es muss aber auch die Wirkung auf andere berücksichtigt werden. Sonst ist Selbstbestimmung lediglich auf materielle Selbstverwirklichung ausgelegt und löst sich von dem Einstehen müssen für die Folgen des eigenen Handelns.

Foto von Project X by Jay- Eine künstlerische Initiative gegen Diskriminierung von Jamie Lang, Stuttgart.

Eine gerechte Gesellschaft garantiert die zum Leben notwendige Grundlage und eine gleiche Entfaltungschance für alle. Dazu zählt auch ein stabiles Globalklima, der Zugang zu Trinkwasser, Nahrung, Bildung und ein Dach über dem Kopf. Durch den menschengemachten Klimawandel wird dieses Grundrecht überall auf der Welt gefährdet. -Klimawandel und soziale Gerechtigkeit gehen Hand in Hand.

Wie drückt sich soziale Ungleichheit in Deutschland aus?

Trotz der florierenden Wirtschaft in Deutschland wird die Differenz zwischen arm und reich immer größer. Das liegt an unserem wirtschaftlichen, sozialen und politischen System. Beispielsweise muss ein durchschnittlicher Arbeitnehmer um die 42 % an Steuern abgeben. Andererseits beträgt die Kapitalsteuer pauschal nur 25 %. So haben diejenigen mit großem Kapital immer einen Vorsprung gegenüber denjenigen die ein kleineres Gehalt haben und somit kein Kapital anlegen können.

Die Bildung
Unser veraltetes Schulsystem führt schon in der 4. Klasse zur Chancenungleichheit bei Kindern. Sie werden ab dieser Stufe in Gymnasium, Realschule und Hauptschule getrennt wodurch eine Klassenhierarchie entsteht. Diese erfüllt keinen wissenschaftlichen Zweck, sondern ist ein Überbleibsel aus den Zeiten des zweiten Weltkriegs und hat sich danach wegen mangelnden Handels seitens der Politik nochmal gefestigt. Das trifft vor allem Kinder mit Migrationshintergrund oder Kinder deren Eltern wenig verdienen und/oder aus sozial instabilen Verhältnissen kommen. Das hat fatale Folgen auf die Gesellschaft und verstärkt die soziale Kluft immer mehr. 75 % der Kinder von geringfügig verdienenden Eltern kommen selbst später nicht in eine höhere Gehaltsklasse. Fast in keinem anderen Industrieland ist die Bildung so sehr vom Elternhaus abhängig wie in Deutschland. Diese soziale Ungleichheit hat auch große Auswirkungen auf das Klima. Denn wenn die Grundbedürfnisse nicht abgedeckt sind und die Bildung nicht ausreichend ist, geht auch die Selbstverwirklichung und damit die Selbstverantwortung verloren. Das betrifft auch die Gesundheit jedes Einzelnen. Gesundes und nachhaltig produziertes Essen ist nicht für alle zugänglich, sondern eine Frage des Einkommens. Die Politik muss in diesen Bereichen entschiedener handeln, Reichtum stärker besteuern, das Schulsystem in seiner Dreigliedrigkeit auflösen, reformieren und besser finanziell fördern. Ein übersichtliches Einführungsvideo über das Schulsystem findest Du hier. Außerdem müssen die Lebensmittel nach nährstofflicher und nachhaltiger Qualität subventioniert und nach CO2 Ausstoß besteuert werden. Das sichert eine gerechte und nachhaltige Grundlage und vermindert, dass Menschen durch ihren Konsum der Umwelt und Mitmenschen schaden.

Gendergerechtigkeit
In unserer Gesellschaft wird das Thema Gendergerechtigkeit oft außen vorgelassen. Die Tendenz der Gleichberechtigung steigt zwar, jedoch sind beispielsweise im Bundesparlament nur 30,1 % Frauen vertreten und in vielen Fällen sind Frauen in Unternehmen oft benachteiligt und bekommen weniger Geld für die gleiche Arbeit. Nur 26 % der ersten Führungsebene sind von Frauen besetzt. Zusätzlich müssen sie mit Belästigung und Sexismus kämpfen. Frauen sind jedoch eins der wichtigsten Puzzelteile um eine sozial gerechte und klimafreundliche Weltgesellschaft zu ermöglichen. Das in unserer Kultur lang bestehende Patriarchat zeigt sich immer noch in  Politik und Wirtschaft und führt zu einer Insensibilität, wenn es um das Wohl anderer und der Umwelt geht. Hier sind Wettstreit, Produktivität und Quantität gefragt. Die weiblichen Qualitäten, des Mitgefühls, Sozialen und Heilenden wurden über die letzten Jahrtausende immer mehr unterdrückt. Beides ist gleichermaßen wichtig, jedoch muss es wieder in ein Gleichgewicht von Fühlen und Machen in unserer Welt kommen. Es ist Zeit Frauen in Deutschland und überall auf der Welt die gleichen Chancen zu bieten, sodass sie selbstbestimmt und gebildet in die Gesellschaft eintreten können. So können wir einen nachhaltigen Wandel schaffen, die Fähigkeiten und Potentiale der Frauen nutzen um eine menschenfreundlichere und umsichtiger Weltgemeinschaft zu schaffen.

Interkulturelle Diversität
Wie die Natur in Vielfalt floriert, so blüht auch die Menschheit in der Diversität auf. In Deutschland hat jeder vierte einen Migrationshintergrund. Damit steht Deutschland auf Platz zwei der weltweiten Diversität in einem Land. In Stuttgart hat sogar jeder zweite Jugendliche einen Migrationshintergrund, somit gehört Stuttgart zu den Städten mit dem größten Migrationshintergrund in Deutschland. Das bringt viele Herausforderungen mit sich, denn oft sind Menschen mit Migrationshintergrund benachteiligt. Beispielsweise wird diese Diversität im Bundestag ganz und gar nicht widergespiegelt, nur 8 % haben einen Migrationshintergrund und die Norm ist immer noch männlich weiß und über 50. Doch warum ist das so? Sind Menschen mit Migrationshintergrund einfach nicht politisch interessiert? Nein, es hat mit Bildung, Diskriminierung und Machtsicherung zu tun.
Die „Aussortierung“ fängt in der Schule bereits an und geht im Arbeitsleben weiter. Ein Bewerber mit einem deutschen Namen wird dem mit einem ausländischen Namen vorgezogen, auch wenn sie genau die gleichen fachlichen Voraussetzungen erfüllen. Der steigende Migrationszufluss, der immer wieder negativ beäugt wird, ist selbstverschuldet! Denn die Industrieländer machen unter anderem mit ihren subventionierten Exportwaren die Wirtschaft im globalen Süden kaputt, ganz zu schweigen von der Ausbeutung der Arbeitskräfte und der Ressourcen. Wir brauchen einen Strukturwandel in der Gesellschaft und der Politik der die Gesellschaft auf allen Ebenen widerspiegelt und nicht nur die obere Schicht. Diskriminierung ist verfassungswidrig und sollte auch so behandelt werden.

Der Klimawandel in der Politik und was die soziale Gerechtigkeit damit zu tun hat

1992 waren sich die Mehrheit der globalen Staatsoberhäupter auf der UN-Klimakonferenz in Rio einig: soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Effizienz und die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlage sind gleichwichtige Interessen und ergänzen sich. Die 178 Länder der mehr als 190 Mitgliederstaaten verpflichteten sich dabei, die Agenda 21 einzuhalten und dementsprechende Maßnahmen zu vollziehen. Es wurde viel Wert auf die Verantwortung der Industriestaaten gelegt und die Sicherung der biologischen Vielfalt. Sowie auf einen Wandel der zu Treibhausgas Emissionseinschränkungen führt. Jetzt sind wir im Jahr 2021 angekommen es wurden im Laufe der Jahre neue Agenden aufgestellt und viele Konferenzen gehalten. Die jüngste ist die Agenda 2030 mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen, durch die die Welt zu dem gewünschten Klimaziel und einer sozialgerechten Weltgemeinschaft werden soll. Diese 17 Punkte sind wundervolle und sehr erstrebenswerte Ziele, jedoch ist hier die gleiche Gefahr wie bei der Agenda 21, dass die Handlungswilligkeit der Politik fehlt bzw. zu gering ausfällt.

Seit 1990 sind die Treibhausgas Emissionen um 40 % gestiegen. Um bis 2050 das 1,5 bis 2 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, muss in Deutschland eine Treibhausgas Reduzierung von 80 % stattfinden! Das Problem dabei ist, dass es keine Institution gibt, die schwere Sanktionen bei Nichteinhaltung an die Länder verhängen würde. Außerdem sind die Ziele meist nur vage gesetzt und bieten viele Schlupflöcher. So unterstützt die EU Klimapolitik immer noch die großen Landwirt*innen mit Monokulturen, anstatt mehr in die ökologische Landwirtschaft zu investieren. Gerade Deutschland sollte hier ein Vorreiter sein:
In Deutschland wurde 2019 40 % des Stroms aus Erneuerbaren Energien gewonnen, das ist großartig, jedoch wird immer noch neue Braunkohle abgebaut und die Wälder für neue Autobahnen gerodet, das jüngste Beispiel ist der Dannenröder Wald. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung der Drang zum Wandel für eine gerechte und klimafreundliche Zukunft.

Der Wandel in der Gesellschaft

2018 hat sich die größte Umweltschutz-Bewegung der Welt entwickelt, Fridays for Future. Die von der Regierung unterschätzte und ihres Erachtens nicht politisch interessierte Jugend, hat gezeigt, dass sie sich die leeren Versprechungen und das fehlende Handeln der Erwachsenen nicht mehr länger anschauen. Dies zeigt ganz deutlich, dass die jüngeren Generationen auch an politischen Entscheidungen teilhaben und in der Politik vertreten sein müssen. Ein erster Schritt ist das Wahlrechtsalter auf 15 Jahre zu senken und aktiv in der Schule globalen Politikunterricht zu machen.
Fast zeitgleich hat sich auch eine weitere starke Gruppe gebildet, die Black Lives Matter Bewegung. Black People of Color sind über Jahrhunderte unterdrückt und ausgebeutet worden, die heutigen gesellschaftlichen und ökonomischen Systeme sind immer noch auf eine soziale Ungleichheit und Ausbeutung ausgerichtet. Die rassistischen Strukturen sind auch in der deutschen Bevölkerung tief verankert und die großen Wirtschaftsunternehmen profitieren noch heute von der sozialen Ungleichheit in der Welt. Doch auch diese Stimmen machen auf sich aufmerksam und zeigen in ihrer ganzen Vielfältigkeit, dass sie eine sozial gerechte Menschengesellschaft fordern. Diese starke Bewegung bietet Hoffnung und ist der Ansporn für einen Wandel, den die Welt bitter nötig hat.
Die zwei wichtigen Bewegungen sind ausschlaggebend für unsere Zeit und zeigen auch, dass Klimaschutz ohne soziale Gerechtigkeit nicht möglich ist und andersherum.
 

Was muss geschehen?

Der Klimawandel ist und bleibt die größte Herausforderung dieses Jahrhunderts. Die Entscheidungen, die wir in den nächsten 10 Jahren treffen, werden über die zukünftige Lebensqualität der nächsten 100 bis 200 Jahre entscheiden. Dieses Thema wird im alltäglichen Kontext oft verdrängt. Den meisten ist die eigene Selbstverwirklichung zum jetzigen Zeitpunkt wichtiger und vor allem erscheint der Klimawandel manchen als unangenehm, unbequem und die Maßnahmen als zu aufwendig und teuer. Diese meist unterbewusste Meinung vertreten auch viele Politiker, so wurde hier in Deutschland seitens der Politik zu wenig zum Klimaziel beigetragen. Die Auswirkungen des Klimawandels lassen jedoch nicht auf sich warten, so müssen wir mit Ernteausfällen, Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Wasserknappheit, Ernährungsproblemen, unbewohnbaren Landstreifen, Klimaflüchtlinge und vor allem auch mit globalen militärischen Konflikten rechnen. Diese Auswirkungen sind um einiges teurer und unbequemer als die Klimaschutzmaßnahmen!

Die Industriestaaten haben die Verantwortung die Klimaziele so schnell es nur geht umzusetzen, ihnen stehen die Mittel zur Verfügung und sie haben schließlich Jahrelang auf Kosten der Länder im Süden und auf kosten kommender Generationen gelebt. Die pro Kopf Emission der deutschen ist drei Mal so hoch wie die eines Chinesen und ca. 20 Mal so hoch wie die der Afrikaner! Das zeigt sehr deutlich, dass wir hier in Deutschland die Treibhausgasemissionen erheblich reduzieren müssen. Ein vielversprechendes Konzept ist der Staaten-Emissionshandel. Dabei können nicht nur klimaschädliche Emissionen eingespart werden, sondern auch die globale historische soziale Ungerechtigkeit ausgeglichen werden. In seiner Studie an der Universität Rostock geht Prof. Dr. Felix Eckardt näher auf dieses Modell ein.
Deutschland muss zusätzlich die hier geltenden Gesetze auf die ganze Lieferkette ausweiten und anderen Ländern helfen, damit diese nicht die gleichen Fehler der massiven Umweltverschmutzung und -zerstörung machen wie wir. In vielen Ländern ist diese bereits geschehen: China und Indien rüsten an Kohlekraftwerken auf und Brasilien ist dabei die Lunge der Erde abzubrennen um für uns Nahrung zu schaffen. Zudem müssen die Entwicklungsländer einen Vorsprung bekommen, damit sie wirtschaftlich aufholen können und zwar gleich mit einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Wirtschaft die auf sozialer Gerechtigkeit beruht. Wir können nicht länger nur auf nationaler Ebene Gesetze erlassen, sondern wir brauchen internationale Grenzwerte und Regulierungen. Der Klimawandel ist eine Herausforderung für die gesamte Menschheit. Hier hat die Menschheit die Chance zu lernen zusammen zu arbeiten und mit den Grenzen der Ressourcen auszukommen. Wir müssen auf eine qualitative Wirtschaft setzen, anstatt auf eine Quantitative. Die Differenzen der einzelnen Staaten zueinander und die Mentalität des Wettbewerbs hat im Angesicht der Klimakrise keinen Wert, hier geht es darum das Wohl der Menschen, Tiere und der Natur gleichermaßen zu sichern.

Deswegen ist die kommende Landtagswahl auch eine Klimawahl!
Bedenke diese Punkte der sozialen Gerechtigkeit und die Auswirkungen des Klimawandels bei den nächsten Wahlen. Nimm dir Zeit, informiere Dich ausgiebig über die Tätigkeiten der Parteien und Wähle bedacht. Zusätzlich kannst du Dich immer aktiv an Bewegungen, Kampagnen und anderen ehrenamtlichen Aktivitäten beteiligen um eine bessere Zukunft für alle zu schaffen. Es ist nie zu spät und man ist nie zu alt oder zu jung um eine Veränderung herbeizuführen. Fang am besten direkt vor Deiner Haustüre an und unterstütze den BUND Kreisverband Stuttgart mit deiner Tatenkraft und Zeit oder mit einer Spende.

 

Autorin: Thea Samide.


Quellen:

https://www.bmz.de/de/themen/2030_agenda/index.html

https://www.gesetze-im-internet.de/estg/__32d.html

https://www.t-online.de/finanzen/geld-vorsorge/steuern/id_68654208/kapitalertragsteuer-wie-hoch-ist-sie-wann-muss-ich-zahlen-.html

https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20190226STO28804/frauen-im-europaischen-parlament-infografik

https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/174634/chancengleichheit

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/diversitaet-im-bundestag-die-parteien-tun-sich-schwer-16926771.html

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/bundestag-frauen-mangel-bundesverfassungsgericht-100.html

https://www.un.org/sustainabledevelopment/development-agenda/

https://www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/ Video

https://www.arbeitsagentur.de/news/news-frauen-in-fuehrungspositionen-studie-2019

https://www.wwf.de/aktuell/insektensterben-stoppen/insektensterben-hintergrundinformationen/

https://www.bmz.de/de/themen/2030_agenda/historie/rio_plus20/umweltgipfel/index.html

https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=5f333536-2589-7f03-c07d-1ceea90afc48&groupId=252038

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