BUND Kreisverband Stuttgart

Autofrei leben - ein Erfahrungsbericht

20. Juni 2023 | Lebenswertes Stuttgart, Ressourcen & Technik, Umweltfreundlich leben

Dass der Verzicht aufs Autofahren gut für die Umwelt ist, wird mittlerweile kaum mehr angezweifelt. Doch welche Vorteile bietet der Verzicht auf das Auto im täglichen Leben?

altes Auto auf Abschleppwagen  (BUND KV Stuttgart)

Dass der Verzicht aufs Autofahren gut für die Umwelt ist, wird mittlerweile wohl kaum mehr angezweifelt. Trotzdem sollen hier noch ein paar konkrete Vorteile des Lebens ohne Auto angeführt werden, bevor weiter unten mein Erfahrungsbericht folgt:

- Weniger CO2-Ausstoß: Autos stoßen große Mengen an Kohlendioxid aus, was maßgeblich zum Klimawandel beiträgt. Wer auf das Auto verzichtet, spart bedeutend CO2 ein.

- Weniger Lärm- und Luftverschmutzung: Autoverkehr verursacht nicht nur Treibhausgase, sondern auch Lärm- und Luftverschmutzung. Ohne Autos sind die Straßen ruhiger und die Luftqualität besser.

- Mehr Platz: Autos brauchen viel Platz. Ohne sie könnten Straßen umgestaltet und der Platz anders genutzt werden. Das schafft Raum für Grünanlagen, Radwege, Fußgängerzonen und mehr Orte, die nicht dem Straßenverkehr gewidmet sind.

- Körperliche Bewegung: Wer das Auto stehen lässt, ist vermehrt zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Das hat nicht nur gesundheitliche Vorteile, sondern reduziert auch den Energieverbrauch im Vergleich zum Autofahren.

- Weniger Kosten: Ein eigenes Auto zu besitzen und zu betreiben ist teuer. Ohne Auto spart man nicht nur die Anschaffungs- und Unterhaltskosten, sondern auch Benzin- und Parkgebühren.

- Weniger Stau und Zeitverlust: Auch wenn der Verkehr mit Bahn und Bus oft unpünktlich, zeitaufwendig und wenig komfortabel erscheint, werden diese Nachteile oft durch stundenlanges Stehen im Stau mit dem Auto wettgemacht.

Aber nun, was bringt der Verzicht aufs Auto mir denn sonst noch für Vorteile? 

Dies habe ich mich gefragt, als mein alter Polo kurz vor Erreichen des Oldtimer-Alters von 30 Jahren endgültig den Geist aufgab. Bis dahin brachte ich es nicht übers Herz, mich von ihm zu trennen – hatte er mich doch zuverlässig begleitet und manches Abenteuer mit mir durchgestanden.

Gegen Ende seines Lebens bestanden die Abenteuer jedoch überwiegend darin, in Wind und Regen am Rand der Autobahn auf die Pannenhilfe zu warten – das erleichterte mir den Abschied ein wenig. Aber nun waren neue Pläne gefragt.

Die Überlegung, ein Elektroauto zu kaufen, schied für mich aus mehreren Gründen aus: Zu teuer, keine Lademöglichkeit zuhause, zu geringe Reichweite. Außerdem zweifle ich immer noch daran, wie viel umweltfreundlicher als mein altes benzingetriebenes Auto ein neues elektrisches wirklich ist. Da sind zum einen die Batterien, die die Umwelt in mehrfacher Hinsicht belasten, und zum anderen der enorme Energie- und Ressourcenverbrauch, der bei der Autoproduktion anfällt.  Bisher hatte ich immerhin gegenüber meinen elektrisch mobilen Bekannten, die meinen alten Benzinschlucker kritisierten, so argumentieren können, dass ein 30 Jahre alter Polo sicherlich einen wesentlich besseren ökologischen Fußabdruck hat als ein nagelneuer Tesla. Da will ich mir nun doch nicht die Blöße geben, selbst ein E-Auto zu nutzen.

Da das Gebrechlich-Werden meines langjährigen Begleiters in die Zeit des 9-Euro-Tickets fiel, habe ich mir dieses letzten Sommer gleich angeschafft. Die Erfahrungen damit waren aber ernüchternd – die Gluthitze in den dauerverspäteten und überfüllten Wagen brachte mich mehrmals an den Rand eines Kreislaufkollapses. Da war selbst das Autofahren bei 35 Grad ohne Klimaanlage noch ein Vergnügen, konnte ich dabei wenigstens ab und zu anhalten oder mein kühles Lieblings-Badegewässer ansteuern, das mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer erreichbar ist.

Nachdem das 9-Euro-Ticket sein kurzes Dasein beendet hatte, war nun aber die Rede von einem neuen Ticket, das – auf Dauer angelegt - mir womöglich ab Jahresanfang 2023 zur Verfügung stehen würde. Also beschloss ich, zumindest den Winter ohne Auto zu verbringen – was mir nicht besonders schwerfiel, da das Ansteuern von Badegewässern in dieser Zeit wegfiel.

Aber Anfang des Jahres stellte sich heraus, dass das angekündigte Ticket noch eine ziemlich unbestimmte Zeit auf sich warten lassen würde. Also was tun? Ich hatte nun ausgiebig Zeit, das Angebot der Bahn auf meiner Stammstrecke Stuttgart – Würzburg zu testen – und ich stellte zu meiner Überraschung fest, dass im Vergleich zu früher die Züge wesentlich moderner geworden waren und auch pünktlicher. Das heißt zwar nicht wirklich pünktlich, aber zumindest kam es nicht mehr vor, dass ich 5 anstatt der 2 Stunden regulärer Fahrtzeit brauchte oder einen Abstecher über Frankfurt machen musste, um überhaupt anzukommen.

Schwer ins Zweifeln brachte mich allerdings ein Erlebnis im letzten Sommer, als ich spät abends mitten in der Pampa strandete, weil der Fahrplan der Bahn nicht korrekt war. Keine Unterkunft war in Sicht, auch kein Taxi, und auf meine Erfahrung aus Interrailzeiten, die Nacht auf dem Bahnhof zu verbringen, wollte ich doch lieber verzichten. Und so musste ein Bekannter 100 km mit dem Auto hin und zurück fahren, um mich aus dem Nirgendwo zu holen. So ist Bahnfahren wirklich nicht umweltfreundlich!

Aber was mich früher besonders genervt hatte, dass nämlich in jeder Kurve die ausgeleierten Türen zwischen den Zugabteilen auf- und zuknallten, gehörte inzwischen der Vergangenheit an. Dafür hat sich die Bahn eine neue Schikane ausgedacht: Geschlossene Toiletten! Mehrmals schon war in den von mir benutzten Zügen kein einziges intaktes WC zu finden. Auf meine Frage an den Fahrkartenkontrolleur, was ich denn nun machen solle, wenn „der Notfall“ einträte, meinte er: „Aussteigen, stilles Örtchen suchen, und mit dem nächsten Zug weiterfahren“ und außerdem: „Denken Sie auch mal an uns Bedienstete, wir müssen die Strecke nämlich gleich zweimal hin und her fahren ohne ein WC!“. Leider bin ich die falsche Adresse für diese Anmerkung des Zugbegleiters – bei seinen Vorgesetzten könnte er mit Protest gegen diese Zustände vielleicht mehr erreichen. Jedenfalls weiß ich nun, dass ich keinesfalls den letzten Zug am Tag nehmen darf, sonst blüht mir doch noch eine Nacht auf dem Bahnhof.

Nun, überzeugt vom Bahnfahren hat mich das alles nicht, da bleibt noch viel Luft nach oben. Aber der Blick auf mein Konto ließ mich dann doch noch eine Weile abwarten. Um mich selbst nicht schwach werden zu lassen, rechnete ich mir die realen Autokosten vor, die verschiedene Posten wie Wertverlust, Betriebs- und Werkstattkosten etc. beinhalten. Hast Du gewusst, dass selbst ein Kleinstwagen unter Berücksichtigung aller Kosten im Monat an die 400 Euro kostet? Und da sind die Kosten, die durch Umweltbelastungen entstehen, noch nicht eingerechnet! Laut Umweltbundesamt verursacht z.B. ein durchschnittlicher PKW mit Benzin-Motor Umweltkosten von 5,46 Eurocent pro ⁠Personenkilometer (Pkm = Produkt aus der Zahl der beförderten Personen und der von ihnen zurückgelegten Entfernung). Elektroautos sind zwar im Betrieb umweltfreundlicher, aber hier fallen mehr indirekte Emissionen ins Gewicht, z.B. für die Produktion und die Strombereitstellung.

Mein erster Gedanke: Selbst wenn ich nur die Kosten berücksichtige, die meinen Geldbeutel direkt belasten, kann ich mich dafür mehrmals im Monat mit dem Taxi zu meiner Lieblingsbadestelle bringen lassen! Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, auch mal Mitfahrgelegenheiten oder Carsharing zu nutzen.

Also her mit dem Deutschlandticket, trotz all der Unannehmlichkeiten im Bahnverkehr!  Immerhin kann ich jetzt während der Fahrt Socken stricken, was meine Verwandtschaft sehr erfreut, oder lesen, wofür ich sonst kaum die Zeit finde, oder gar zum monotonen Rattern meditieren. Oder ich lerne neue Örtchen kennen, wenn ich für die WC-Suche mal aussteigen muss. Und da „Entschleunigung“ heutzutage schon fast ein Wert an sich ist, kann ich mich nun richtig hip fühlen, und dabei hilft mir doch tatsächlich die Deutsche Bahn – wer hätte das gedacht ;-)

Fazit:

Eine gewisse Gewöhnungszeit habe ich gebraucht, um mich mit meinem autolosen Zustand anzufreunden. Aber auch wenn ich mit der Bahn oft nicht zu der geplanten Zeit mein Ziel erreichte, kann ich inzwischen sagen, dass die Vorteile für mich überwiegen:
Ich spare so viel Geld, dass ich mir im Notfall ein Taxi oder ein Leihauto leisten kann. Ich muss mich nicht mehr über gestiegene Benzinpreise ärgern, nicht mehr nach den billigsten Tankstellen suchen und nicht mehr im Stau stehen. Ich bewege mich mehr, denn das Fahrrad wird nun häufiger benutzt.
Ich brauche zwar oft länger für eine Fahrt als früher, aber ich kann die Fahrzeit für andere Dinge nutzen. Und ich spare die Zeit für Werkstattbesuche, Autowartung, Reifenmontage usw. Ich freue mich, dass auf meinem Parkplatz am Haus nun wieder viel Grün zu sehen ist statt meiner Rostlaube. Und – ganz wichtig – ich habe kein schlechtes Gewissen mehr, der Umwelt zu schaden, wenn ich unterwegs bin.

All diese Vorteile, die mir das Leben ohne Auto beschert, mögen für andere angesichts der Mängel im Bahnverkehr nicht zählen. Das Deutschlandticket ist zwar ein guter Anfang - um jedoch mehr Menschen von der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu überzeugen, ist es notwendig, den Komfort, die Zuverlässigkeit und auch die Erschwinglichkeit des Bahnfahrens zu verbessern. Eine Ankündigung des „Deutschlandtakts“, der voraussichtlich erst im Jahr 2070 realisiert sein wird, reicht dabei bei weitem nicht aus.

Jedoch werden wir eine lebenswerte Zukunft nur dann gemeinsam schaffen können, wenn wir offen sind für Veränderungen. Dazu gehört auch, die Ansprüche an den persönlichen Komfort zu überdenken. Neue Konzepte in der Politik sind zwar gefragt, werden aber allein nicht ausreichen.

 

Quellen und Anregungen zum Weiterlesen:

Mobilitätswende jetzt!
https://www.bund.net/zukunftsagenda/mobilitaetswende/

Elektroautos: Wie stark belasten die Batterien die E-Auto-Ökobilanz?
https://utopia.de/ratgeber/elektroauto-batterie-lithium-cobalt-akku/

VCD Kostencheck Mobilität
https://www.vcd.org/service/kostencheck

Strasse zurückerobern
https://www.vcd.org/flaechengerechtigkeit/page

Verkehr: Flächen gerecht verteilen
https://www.vcd.org/startseite/newsroom-uebersicht/vcd-verkehrswende-blog/verkehr-flaechen-gerecht-verteilen/

Verkehrswende stockt: Deutschlandtakt der Bahn auf 2070 verschoben
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bahn-verkehrswende-deutschlandtakt-verzoegerung-100.html

Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen - Umweltkosten des Verkehrs
https://www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-wirtschaft/gesellschaftliche-kosten-von-umweltbelastungen#umweltkosten-des-verkehrs

Umweltkosten für verschiedene Fahrzeugtypen (Download):
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/dateien/6_tab_umweltkost-versch-fahrzeugtyp_2023-03-27.pdf

Klima und Erneuerbare Energien: Ist Elektromobilität wirklich klimafreundlich?
https://www.bmuv.de/themen/luft-laerm-mobilitaet/verkehr/elektromobilitaet/klima-und-energie

CO2-Rechner für Autos und Flugzeuge:
https://www.quarks.de/umwelt/klimawandel/co2-rechner-fuer-auto-flugzeug-und-co/

 

 

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