BUND Kreisverband Stuttgart

Natur- und Artenschutz

ca. 300 Jahre alter Habitatbaum (Eiche)

Wie ist denn der Wald in Ihrem Revier aufgebaut?

Die Eiche ist bei uns der Idealbaum. Wir haben viele alte Eichen, auch viele Habitatbäume, die wir nicht verlieren wollen. Eine Mischung von Baumarten ist ein sehr großer Vorteil, das sieht man auch hier im Stuttgarter Wald. Wir haben pro Bestand 10 bis 15 Baumarten, das ist ein ziemlicher Fundus. Wenn jetzt eine Baumart wegfallen würde wegen irgendwelcher Einwirkungen, bleibt der Wald immer noch stabil. Er verändert sich vielleicht, weil eine Art wegfällt (Stichwort Fichte), aber die anderen Bäume bleiben noch bestehen. Wir wollen gerne eine Vielfalt an Arten und auch Bäume verschiedenen Alters haben.

 

Können wir denn auch von der Natur lernen?

Mein Vorgänger hat Bereiche einfach so belassen, obwohl es auch Wirtschaftswald ist, und hat bewusst die Hand draußen gelassen, um zu schauen, wie sie sich weiterentwickeln. Das würde ich gerne weiterführen. Wir nehmen das Waldstück nicht besonders in Schutz, aber wir wollen einfach beobachten, was dort passiert und daraus wird, um der Natur sozusagen ein bisschen auf die Finger zu schauen und davon zu profitieren. Das sind meist sehr kleine Bereiche im Wald. Aber auch größere Flächen werden von uns aus der Bewirtschaftung genommen. Wir nennen dies Waldrefugien oder Prozesschutzflächen.  Solche Beispiele können wir uns gerne draußen vor Ort noch einmal anschauen.

Wir nutzen natürliche Vorgänge, wie z.B. die Naturverjüngung, um den Wald naturnah zu bewirtschaften.

 

Vorhin haben wir vom Eremit-Vorkommen gesprochen. Der Borkenkäfer ist ja quasi immer „böse“ aber der Eremit wird geschützt?

Man muss sagen, dass es mehrere geschützte Käferarten gibt, die ebenso von den Maßnahmen zum Schutz des Eremiten profitieren. Gerade im Stuttgarter Bereich gibt es ein sehr großes Eremit-Vorkommen. Der Eremit, auch Juchtenkäfer genannt, wurde durch Stuttgart 21 bekannt und es wurde in der Presse häufig über ihn berichtet. Hier in Stuttgart gibt es ein großes Vorkommen, das sehr bedeutend ist. Ich weiß nicht, ob es nochmal so ein großes Vorkommen in Deutschland gibt. Das rührt daher, dass wir in Stuttgart viele Altbäume haben, also alte Buchen und alte Eichen. In denen können der Juchtenkäfer und seine Larven sich gut entwickeln. Der Eremit siedelt sich in vorgeschädigten Bäumen an, welche Mulmhölen und Faulstellen haben, und entwickelt sich dort. Er braucht als Urwaldreliktart ein ganz bestimmtes Habitat wie die alten Buchen und Eichen, die es im normalen Wirtschaftswald gar nicht so häufig gibt, weil die meisten Bäume dort erst gar nicht so alt werden.

 

Naturschutzbaum, markiert mit weißem Punkt

Wie kommt es denn dazu, dass wir so viele Urwaldreliktarten haben?

Früher im Mittelalter, als Stuttgart noch nicht so groß war, gab es hier im Stuttgarter Bereich viele kleine Siedlungen. Es gab viele Bauern, die ihr Vieh hoch in den Rot- und Schwarzwildpark getrieben haben. Das heißt, sie haben den Wald beweidet, wodurch der Wald auch ganz anders aussah als heute. Es gibt alte Kupferstiche, auf denen man nur einzelne Bäume sieht. Das waren Buchen und Eichen. Diese Mastbäume trugen Früchte, welche die Hausschweine gerne gefressen haben. Die Tiere wurden sozusagen im Wald gemästet. Alle anderen Bäume hat man weggehauen oder sie kamen erst gar nicht hoch wegen der Beweidung. Daher sind diese Bäume aufgewachsen wie in einem Park. Das kann man sich so vorstellen, wie im oberen Teil des Stuttgarter Rosensteinparks, vielleicht mit noch ein paar mehr Bäumen, aber ungefähr so. Das war eigentlich gar kein richtig dichter Wald, so wie er früher war. Dann kam die zweite Periode. Da haben irgendwann die Fürsten von Württemberg die Leute ausgesperrt und das Gebiet eingezäunt und darin Wild gehalten: Rotwild, Damwild und ein Wildschweingatter gab es auch. Im Prinzip hat sich für den Wald von der Bewirtschaftung her gar nichts geändert. Denn das waren auch Tiere, die im Wald gefressen haben und keine kleinen Bäume aufkommen ließen. Das heißt, diese alten Bäume, die es damals schon gab und die vielleicht 100, 120 oder 150 Jahre alt waren, wurden noch einmal viel älter und hatten gar keine Konkurrenz mehr. Das heißt, sie wurden immer größer und dicker.

 

Buche mit Pilzbefall

Und was hat das mit dem Eremiten zu tun?

Diese alten Bäume, die jetzt noch dastehen und teilweise auch zusammenbrechen, weil sie am Ende ihres Lebensalters sind, sind die Bäume, in denen bestimmte Arten wie der Eremit idealerweise vorkommen. Den Eremiten gibt es in naturbelassenen Wäldern vielleicht auch ab und zu, aber nicht in dieser Häufigkeit, wie er hier vorkommt. Wir als Menschen haben das Gebiet über Jahrhunderte gestaltet und bewirtschaftet unter verschiedenen Gesichtspunkten. Der Wald, bei dem viele sagen, dass er etwas ganz Besonderes ist, weil viele alte Bäume dort vorkommen, die jetzt kaputt gehen, ist durch diese Beweidung und dieses Jagdgebiet damals entstanden. Ansonsten hätte es diese Bäume nie gegeben, weil man sie für Bauholz entnommen hätte und dann hätten wir hier einen ganz normalen Wald. Der aber auch besondere alte Habitatbäume hat, weil der Förster diese unter Schutz stellt, aber eben nicht in dieser Häufigkeit.

 

Was machen Sie denn jetzt, wenn nach und nach die alten Bäume sterben?

Deswegen wählen wir jetzt schon neue Naturschutzbäume aus, die wir gezielt fördern. Eichen können um die 500 Jahre alt werden und es ist natürlich, dass sie auch irgendwann das Zeitliche segnen, so wie jedes Lebewesen. Bei der Buche sind es so 250 Jahre ungefähr, dann merkt man, dass sie anfangen zu sterben. Weil der Eremit im Stuttgarter Wald ein so bedeutendes Vorkommen hat, wollen wir hier entsprechend weiterentwickeln und die Gebiete, in denen er vorkommt, miteinander vernetzen. Es gibt immer ein paar Lücken zwischendrin, wo es keine Habitatbäume gibt oder wo ein Habitatbaum auseinandergefallen oder umgefallen ist. Dort wollen wir darauf achten, dass es künftig noch weitere Bäume gibt. Der Eremit ist nur eine Art, wir schauen natürlich auch auf weitere Arten. Aber der Eremit hat den Vorteil, dass es, wenn man etwas für ihn entwickelt, viele Folgearten gibt, die ebenso von diesen Maßnahmen profitieren, wie beispielsweise Fledermausarten und weitere Käferarten. Deswegen hat man sich so auf den Eremiten fokussiert.

Pionierwald

Der Förster und Autor Peter Wohlleben hat mal gesagt: „Natürlicher Wald kommt zurück, sobald wir ihn lassen.“

Ja, da hat er Recht, irgendwo. Es wird bei uns in Deutschland immer Wald geben. Doch was ist eigentlich Wald? Kurze Begriffserläuterung: Da, wo jetzt die großen Bäume wegen des Borkenkäfers fehlen, ist ja immer noch Wald. Ein super Beispiel ist der Nationalpark Bayerischer Wald. Hier haben die Borkenkäfer die Fichtenbestände zum Großteil zerfressen und jetzt steht da ein relativ niedriger Wald. Aber auch hier wachsen wieder Fichten, Buchen, Birken und Ebereschen. Der Wald ist schon noch da, aber zum Ernten eben nicht.
Das hat auch die Historie schon gezeigt, belegt durch die Analysen von Pollen aus der Zeit nach der letzten Eiszeit. Stellt euch nochmal Deutschland nach der Eiszeit vor, bedeckt von einem riesigen Eispanzer, der dann weggetaut ist. Da gab es dann verschiedene Baumzeitalter. Beispielsweise eine Haselzeit, eine Birkenzeit. Das heißt, anfangs gab es Pionierbäume, das sind Lichtbaumarten, die viel Licht vertragen und brauchen. Dann folgten Schattbaumarten, die nach und nach kamen und sich dann in dem Lichtwald etablierten, zum Beispiel die Buche.
Zur Römerzeit war Deutschland sehr dicht bewaldet, das haben ja auch römische Schriftsteller festgehalten und den Wald als ganz düster und dunkel beschrieben. Das war sozusagen die Hochzeit dieser Buchenzeit, in der die Wälder ganz dicht waren. Jetzt ändert sich das Klima ein Stück weit. Die Römer hatten auch beschrieben, dass die Wälder kalt und nass waren, und haben die Wälder als etwas Bedrohliches dargestellt. Jetzt durch den Klimawandel müssten theoretisch die Lichtwaldarten zunehmen und begünstigt werden. Wenn wir uns als Menschen raushalten würden, dann würde wahrscheinlich genau das passieren. Man sieht es ja an einigen Beständen, dass alte Buchen absterben und neue Baumarten auf diesen freigewordenen Flächen nachkommen. Wenn eine alte Buche abstirbt und in sich zusammenfällt, entsteht erst einmal ein Loch. Dort hat dann beispielsweise eine Birke Platz und dann vielleicht eine Kiefer oder es findet eine Naturverjüngung durch die Buche statt.

 

Reiner Buchenwald

Wie ist das dann mit der Artenvielfalt? Wie würden unsere Wälder ohne menschlichen Einfluss aussehen?

Die Mischung in den Stuttgarter Wäldern ist menschlich beeinflusst, natürlich hätten wir hier wahrscheinlich hauptsächlich Buchenwälder, eher artenarme Wälder. Wir haben hier eine große Vielfalt, was das Alter und Baumarten angeht. Bei Betriebsmessungen wird gemessen, was in so einem Wald zuwächst. Diesen Zuwachs versucht man, auch mit abzuschöpfen. Dabei müssen wir natürlich immer darauf achten, wie sich das auf die Eiche auswirkt. Bei unserer letzten Forsteinrichtungsbegehung konnten wir feststellen, dass einige alte Eichen Probleme hatten. Weil Buchen recht stark in die Eichenkronen eingewachsen sind und wir sie zu spät entfernt haben, sind einige dieser alten Eichen verloren gegangen.

 

Warum sind Buchenwälder eher artenarm?

Für die Buche ist die Dichte des Waldes sehr wichtig. Sie ist hitzeempfindlich und bekommt bei zu viel Sonneneinstrahlung auf dem Stamm einen Sonnenbrand. Ihr müsst euch vorstellen, dass die Bestände im Buchenreinbestand immer dichter und dichter werden, wodurch es immer dunkler wird. Andere Baumarten verschwinden dadurch, so dass nur die Buche da ist. Irgendwann hat man einen Hallenwald. Also man hat oben ein Dach und dann ganz viele Säulen, also die Stämme. So bleibt das erstmal über Jahrzehnte und irgendwann nimmt die Natur ihren Lauf und die Buchen kommen an ihr Lebensende oder es kommt ein Sturm oder ein Pilz etabliert sich, der ein paar Bäume zum Absterben bringt. Dann fallen wieder die Buchen um und es geht eine Kettenreaktion los. Es entsteht ein Loch und idealerweise schließt sich dieses wieder relativ schnell und kegelförmig. Vor allem da, wo Licht reinfällt, setzt die Naturverjüngung schnell ein und wächst kegelförmig auf. In der Mitte des Lochs, wo am meisten Licht hinkommt, sind die Bäume am höchsten, am Rand, wo durch die alten Bäume weniger Licht hinkommt, werden die neuen Bäume immer kleiner. Also findet Wachstum statt, bis der Wald nichts mehr vertragen kann, dann bricht wieder etwas ein und dann geht es wieder von vorne los. Das ist so das Ideale bei der Buche und so macht sie den anderen konkurrierenden Baumarten den Garaus.

 

Polter Buche gesund

Sollte man Buchen dann eher fällen?

In Buchenwaldgesellschaften wächst eigentlich nur noch die Buche, da sie vielen anderen Pflanzen das Licht wegnimmt. Sie kommt gut damit klar und kann sich gut entwickeln. Im Frühjahr gibt es oft ein paar Frühblüher, weil da die Bäume noch kein Laub haben und genug Licht auf den Boden kommt, doch sobald die Buchen Blätter tragen, ist es damit vorbei. Eichenwaldgesellschaften sind zum Beispiel aufgrund der verschiedenen Strukturen und Verhältnisse, die entstehen, artenreicher. Um also im Wald auch andere Mischbaumarten wie z.B. Eichen zu fördern ist es notwendig auch Buchen zu fällen. Aber ich will nicht sagen, dass die Buchenwaldgesellschaften schlecht sind. Die braucht man genauso. Es gibt ein paar Arten, die genau darauf spezialisiert sind. Deshalb meine ich auch, dass man von allem etwas dahaben sollte. Man sollte sich nicht von dem einen Extrem ins andere bewegen. Das darf man nicht machen. Das zeigen uns ja quasi diese Fichtenmonokulturen. Aber wie gesagt, da muss man auch immer die Historie mitbetrachten.

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