Wie funktioniert der Handel mit Emissionszertifikaten?
Der Handel mit Zertifikaten belohnt klimafreundliche Unternehmen finanziell, indem er ihnen ermöglicht, sogenannte CO2-Zertifikate zu verkaufen. CO2- oder Kohlenstoffdioxid-Zertifikate sind handelbare, von der Politik eingeführte Instrumente, die zur Reduktion von Treibhausgasemissionen führen sollen. Sie stehen für die Menge an Emissionen, für die finanzielle Verantwortung übernommen wird, indem Klimaschutzprojekte unterstützt werden. Ein Zertifikat entspricht dabei einer Tonne CO2. Für andere Treibhausgase wird die sogenannte CO2-Äquivalenz berechnet, sie werden also in ihrer Schädlichkeit mit CO2 verglichen und in die entsprechende CO2 -Menge umgerechnet.
Unternehmen mit hohen Emissionen sind verpflichtet, diese Zertifikate zu kaufen, um die Umweltschäden, die sie verursachen, auszugleichen. Sie sollen also für ihr klimaschädliches Handeln bezahlen. Kraftwerke, große Industrieanlagen und der Luftverkehr benötigen diese Berechtigungen – pro Tonne ausgestoßenem CO2 müssen sie ein Zertifikat bei der Emissionshandelsstelle des Umweltbundesamtes abgeben. Der Handel mit Zertifikaten erfolgt dabei durch ganz unterschiedliche Akteure wie z.B. Industrieunternehmen, Finanzinstitutionen oder Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen.
Dagegen dürfen Unternehmen, die umweltfreundlich wirtschaften und wenig CO2 emittieren, Zertifikate ausgeben und werden so belohnt, indem sich ihnen eine zusätzliche Einnahmenquelle erschließt.
Ein Beispiel von Emissionshandel in der Praxis
Ein deutsches Unternehmen wirbt auf seinen Mineralwasser-Flaschen mit dem Wort „klimaneutral“. Das Unternehmen selbst jedoch arbeitet keineswegs klimaneutral – deshalb kauft es Zertifikate eines Projekts, das in einem Gebiet in Peru das Abholzen des Regenwaldes verhindern soll.
Um zu berechnen, wie viel CO2 durch die Abholzung, die es zu verhindern gilt, eingespart werden kann, wird zum Vergleich ein Referenzgebiet festgelegt, wo bereits abgeholzt wurde. Für Emissionshändler ist es dabei am lukrativsten, wenn im Referenzgebiet der Umweltschaden möglichst hoch ist. Dieses Gebiet dient nun als Grundlage, um die zu erwartenden Schäden im Projektgebiet zu berechnen. Es ist also entscheidend für die Anzahl der CO2-Zertifikate, die ausgestellt werden können.
Im Beispielfall ist es sogar so, dass es für die Händler vorteilhaft ist, dass im abgeholzten Gebiet zusätzlich auch noch illegal Gold abgebaut wird – mit katastrophalen Folgen für die Umwelt. Ein Umstand, der eigentlich bekämpft werden sollte.
Alleine das Beibehalten des Status quo in einem noch nicht abgeholzten Gebiet – indem die indigene Bevölkerung dort ihre Flächen weiterhin wie bisher nutzt – führt dazu, dass eine Menge Zertifikate generiert wird. Je mehr Zertifikate erstellt werden, desto größer ist der Gewinn für die ausgebenden Institutionen. Die Menschen, die dort leben, ziehen keine finanziellen Vorteile aus dem Handel, sie werden vielmehr zur Verfügungsmasse. [1] [2]
Warum ist der Handel mit Zertifikaten kein geeignetes Instrument für den Klimaschutz?
Wertlose Zertifikate
Bei jedem Klimaprojekt lautet die große Frage, ob es wirklich zusätzlich ist oder nicht ohnehin umgesetzt worden wäre. Denn Windräder oder Staudämme werden ja auch so gebaut, einfach weil sie profitabel sind. Trotzdem ist es natürlich verlockend, auch noch Zertifikate zu verkaufen. Ein bisschen Extrageld kann schließlich jedes Unternehmen gebrauchen. [5] [6]
2016 untersuchte das Öko-Institut Berlin im Auftrag der EU die Klimaprojekte der Vereinten Nationen. Das Ergebnis der Studie war vernichtend: 85 Prozent der analysierten Projekte wären mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin verwirklicht worden, oder es wurden zu viele Zertifikate produziert. Das heißt: Die meisten UNO-Projekte haben entweder mehr Zertifikate ausgegeben, als sie durften, oder ihre Zertifikate sind wertlos, weil die Projekte sowieso umgesetzt worden wären. Die für die Kontrolle zuständigen Stellen – für Deutschland das Umweltbundesamt – werden ihrer Aufgabe also nicht gerecht. [5] [9]
Überangebot von Zertifikaten
Derzeit ist die festgesetzte Obergrenze für die erlaubten schädlichen Emissionen von Unternehmen so hoch, dass die Nachfrage nach Zertifikaten gering ist und es ein Überangebot gibt. Die Zertifikate werden folglich nach den Regeln der Marktwirtschaft immer billiger. Klimaschädliche Unternehmen können sich also zu einem geringen Preis sozusagen „freikaufen“. [6]
Ausgabe von kostenlosen Zertifikaten
Außerdem erhalten bis 2027 noch viele Unternehmen, unabhängig von der Höhe ihrer Emissionen, kostenlose Zertifikate. So sollen Unternehmen nicht zu sehr zu belastet werden und genug Zeit haben, ihre Emissionen zu senken. Das Resultat: Sogar Kohlekraftwerke oder die Stahlindustrie konnten mit dem Verkauf dieser Emissionszertifikaten zusätzliche Gewinne erzielen. [6]
Berechnen der Emissionen ohne Kontrolle
Konzerne können ihre CO2-Emissionen selbst berechnen – meist sind diese dann viel zu niedrig veranschlagt. Hier gibt es keine Kontrollinstanz oder Richtwerte. [3]
Schätzen der Umweltschäden ohne Kontrolle
Unternehmen setzen die Schäden, die sie mit ihren Umweltprojekten verhindern wollen, nach eigenem Ermessen selbst fest – meist viel zu hoch, wie wissenschaftliche Studien belegen. [3] [4]
Ungeeignetes Messen von Umweltschäden
Das Maß an Umweltschäden nur nach dem CO2-Ausstoß von Unternehmen zu messen, ist mehr als fraglich. So werden beispielsweise die Artenvielfalt und Ökosysteme in CO2-Äquivalent umgerechnet. Statt unser Wirtschaftssystem anzupassen, damit es sich in die gegebenen Grenzen unseres Planeten einfügt, wird die Natur umdefiniert, damit sie in unser Wirtschaftssystem passt. Echte Alternativen bleiben auf der Stecke. [7]
Täuschung durch die Idee von „negativen Emissionen“
Die hinter den Zertifikaten stehende Idee von „negativen Emissionen“ führt auch zum Schluss, dass neue Technologien imstande sein werden, der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Dabei stecken diese Technologien noch in den Kinderschuhen, und ihre Umsetzung ist hochriskant und kostspielig. Wieder einmal werden – wie z.B. beim Speichern von CO2 in Gesteinsschichten oder im Meeresboden – Hypotheken auf das Leben zukünftiger Generationen aufgenommen. [8]
Wer profitiert also?
- Private Firmen, die den Handel mit Zertifikaten betreiben
- Unternehmen, die ihrem Produkt den Anschein der Klimaneutralität als Werbebotschaft mitgeben
- Die größten Verschmutzer: Sie können mit Hilfe des Emissionshandels ihren Ausstieg aus fossilen Brennstoffen verlangsamen. So wird der Klimaschutz ausgebremst.
- Der deutsche Staat hat 2023 erneut einen Rekorderlös aus dem Verkauf von Treibhausgas-Verschmutzungsrechten erzielt. Die Einnahmen beliefen sich insgesamt auf mehr als 18 Milliarden Euro. [10]
- Konzerne wie VW gründen Tochterunternehmen, um mit Kompensationsprojekten klimaneutral zu werden, und schaffen sich damit neue Einkommensquellen. [11]
- Käufer von E-Autos: Zusätzlich zu den in der Vergangenheit gezahlten hohen Kaufprämien können Eigentümer von E-Autos jährlich über 300 Euro für das „Einsparen“ von Treibhausgasen erhalten. [5]
Wer profitiert nicht?
- Diejenigen, die am wenigsten Klimaschäden verursachen, nämlich die Bewohner*innen der Projektgebiete, haben nicht teil an den finanziellen Gewinnen aus dem Zertifikatshandel. Im Fall des Beispiels des Mineralwasserproduzenten oben ist es zudem so, dass über ein Gebiet, das von ihnen von je her nachhaltig bewirtschaftet wird, nun von fremder Hand verfügt wird. [1] [4] [5]
- In anderen Fällen kommt es vor, dass die indigene Bevölkerung von ihrem angestammten Land vertrieben wird, damit ein Nationalpark gegründet wird. Für diesen werden nun die lukrativen Zertifikate ausgestellt. Damit öffnet der Emissionshandel das Tor zu Menschenrechtsverletzungen. [6]
- Die Verbraucher: Sie werden mit Werbebotschaften wie „klimaneutral“ in die Irre geführt und bezahlen den Kauf von Zertifikaten mit. [4]
Fazit:
Auf dem Papier gaukelt uns der Zertifikathandel mit einer Netto-Null für die verursachten Umweltschäden vor, dass wir weiter ohne Folgen Erdöl, Erdgas, Kohle konsumieren können. Doch in der Atmosphäre gibt es diese Null nicht. [1] [7]
Achte also darauf, was hinter der Werbebotschaft „klimaneutral“, „klimaoptimiert“ oder „CO2-neutral“ steht. Du kannst überprüfen, ob ein Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte und Informationen zur Berechnung seiner Emissionen veröffentlicht. Welche konkreten Maßnahmen ergreift es, um Emissionen zu reduzieren? Wird aufgezeigt, welche Art von Zertifikaten gekauft werden?
Unternehmen, die tatsächlich klimaneutral sind, werden in der Regel umfassende Maßnahmen zur Emissionsreduktion ergreifen und dies transparent und überprüfbar darstellen.
Quellen und Anregungen zur weiteren Information:
[1] https://www.tagesschau.de/investigativ/fakt/greenwashing-co2-zertifikate-100.html
[4] https://www.tageins.at/klimaneutral-werbung-interview-jutta-kill-von-christof-mackinger/
[5] https://www.klimareporter.de/verkehr/emissionshandel-mit-null-wirkung
[6] https://www.geo.de/natur/oekologie/4896-rtkl-klimawandel-emissionshandel-die-luftnummer
[7] https://www.klimareporter.de/gesellschaft/co2-zaehlen-ist-kein-klimaschutz
[9] https://climate.ec.europa.eu/system/files/2017-04/clean_dev_mechanism_en.pdf (Seite 152)
[11] https://www.greenpeace.de/publikationen/vws-bluff-klimaneutralitaet