BUND Kreisverband Stuttgart

Moderne Sklaverei in der Lebensmittelproduktion

23. August 2021 | Fair-Trade, Nahrungsmittel, Lieferkette, Globale Gerechtigkeit

Schokolade, Bananen, Kaffeebohnen – in vielen Supermärkten gibt es diese Produkte inzwischen aus fairem Handel zu kaufen. Fair gehandelte Lebensmittel erzielen in Deutschland trotzdem noch weniger als ein Prozent des Gesamtumsatzes [1]. Viele andere Lebensmittel werden unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen hergestellt. Vor allem am Anfang der Lieferketten, bei der Rohstoffgewinnung, ist moderne Sklaverei eine gängige Praxis.

Der Begriff „Moderne Sklaverei” fasst verschiedene Ausbeutungsverhältnisse zusammen. In diesen müssen Arbeiter*innen ohne angemessene Entlohnung unter miserablen Bedingungen schuften. Hitze, Kälte, Pestizideinsätze, fehlende Schutz- und Arbeitskleidung, keine Pausen und lange Arbeitszeiten sind nur einige Beispiele für den Arbeitsalltag in vielen Plantagen, Fabriken und Fischerbooten. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass weltweit etwa 40 Millionen Menschen Opfer moderner Sklaverei sind, 71% davon Frauen. Die schlechte finanzielle Lage der potentiellen Arbeiter*innen wird von Vermittler*innen ausgenutzt, um sie in ungerechte Arbeitsverhältnisse zu locken. Die Arbeitsbedingungen, die Art der Arbeit, die Arbeitszeiten und die Löhne entsprechen dann aber nicht den Versprechungen. Vor allem die Situation von Migrant*innen wird oft ausgenutzt: ihnen wird der Ausweis abgenommen und sie werden sozial isoliert. Damit sind sie abhängig von ihren Arbeitgeber*innen und diesen schutzlos ausgeliefert. Sie sind von Anfang an verschuldet, da ihnen hohe Kosten für die Jobvermittlung, den Transport, die Beschaffung von Papieren, Unterkunft und Verpflegung, sowie Arbeitsgeräten berechnet werden. Aufgrund der Verschuldung können die Arbeiter*innen ihre Arbeitsplätze nicht einfach wieder verlassen und sind letztendlich gezwungen zu bleiben [2].

Sklaverei und Zwangsarbeit sind jahrhundertealte Formen der Ausbeutung und waren auch in den Kolonien im 20. Jahrhundert weit verbreitet. Die meisten kolonisierten Nationen wurden in den frühen 1960ern in die staatliche Unabhängigkeit entlassen [3]. Der Abzug der Verwalter der Kolonialmächte wurde jedoch nicht vorausschauend vorbereitet und begleitet. Der Aufbau eines staatlichen Systems wurde den ehemaligen Kolonien selbst überlassen. Dabei entstanden oft ähnliche Machtstrukturen wie zuvor in der Kolonie [4]. Die kolonialen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse waren wegbereitend für die Entwicklung der modernen Welt. Die Handelsstrukturen blieben bestehen und führten zu ungleichen Handelsbeziehungen während der frühen Globalisierung. Der globale Norden wurde immer stärker, der globale Süden immer abhängiger. Diese Ungleichheit wurde nie abgebaut und bereitete den Weg in die moderne Sklaverei. Zum Beispiel beim Kaffeeanbau: Kaffeekirschen müssen von Hand gepflückt werden. Da die Erntezeit je nach Region variiert, sind hier vor allem Wanderarbeiter*innen im Einsatz [5]. Sie reisen mit ihren Familien durchs Land und müssen diese mit der Arbeit auf den Plantagen ernähren. Ohne feste Arbeitsverträge sind sie den Plantagenbesitzer*innen ausgeliefert. Laut Oxfam gibt es vor allem in Brasilien Plantagen, auf denen extreme körperliche Arbeit zu verrichten ist - ohne Schutz gegen giftige Pestizide oder das Coronavirus, und mit Unterkünften ohne fließendes Wasser [6]. Zusätzlich zum menschenverachtenden Umgang mit den Arbeiter*innen wird hier auch der Regenwald ausgebeutet und indigene Völker von ihrem Land vertrieben [7]. Weltweit werden Menschen auf Kakao- und Bananenplantagen, im Obst- und Gemüseanbau, auf Reisfeldern und Fischerbooten versklavt [2]. 

Moderne Sklaverei in Europa

Aber auch in Europa findet moderne Sklaverei statt: in Spanien oder Italien schuften Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen vor allem im Obst- und Gemüseanbau, [8]. Auch sie werden von Vermittler*innen betrogen und unter falschen Versprechungen in ungerechte Arbeitsverhältnisse gelockt. Die harte körperliche Arbeit in der Hitze unter den Folien und unzählige (unbezahlte!) Überstunden bringen viele Erntehelfer*innen an ihre gesundheitlichen Grenzen [8]. In Deutschland werden vor allem die Zustände in den großen Schlachthöfen mit moderner Sklaverei und Menschenhandel verglichen. Da die Arbeitskräfte schlecht bezahlt und versorgt werden, sind die so hergestellten Produkte billiger als fair oder regional produzierte Lebensmittel. Den Preisdruck der freien Marktwirtschaft bekommen so hauptsächlich die Arbeiter*innen am Anfang der Lieferketten zu spüren. Für die Verbraucher*innen in deutschen Supermärkten ist dieses Leid unsichtbar, sie fühlen sich nicht verantwortlich dafür.

Wie steht es um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen?

Deutsche Unternehmen konnten sich bisher legal an moderner Sklaverei beteiligen. Mit dem im Juni 2021 verabschiedeten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz („Lieferkettengesetz”) soll sich das ändern: Das Gesetz verpflichtet Unternehmen in Deutschland dazu, dafür zu sorgen, dass entlang ihrer Lieferketten Menschenrechte eingehalten werden [9]. Die Initiative Lieferkettengesetz, die diese Entwicklung angestoßen hat, nennt das Gesetz einen „politischen Kompromiss” [10]. Es enthält zwar Maßnahmen zur Einhaltung von Menschenrechten und ermöglicht Kontrollen und Bestrafung bei Missachtung. Die Sorgfaltspflicht gilt vollumfänglich aber nur für den eigenen Geschäftsbereich und für mittelbare Zulieferer. Unmittelbare Zulieferer aus der Rohstoffgewinnung werden also außen vorgelassen, obwohl hier die meisten Verstöße auftreten. Auch Umweltaspekte, Geschlechtergerechtigkeit und indigene Beteiligungsrechte finden im Gesetz noch zu wenig Beachtung. Laut Evi Hartmann, Professorin für Supply Chain Management an der Uni Erlangen-Nürnberg, arbeiten für jede*n von uns etwa 60 Sklaven [11]. Nicht nur in der Lebensmittelproduktion, auch bei der Herstellung unserer Kleidung, Smartphones und Autos müssen Menschen leiden, während große Unternehmen den Gewinn einstreichen. Mit dem Sklaverei-Fußabdruck kannst Du genauer berechnen, wie viele Menschen für Deinen Lebensstil in moderner Sklaverei ausgebeutet werden. 

Quellen

[1] https://www.zeit.de/news/2021-07/14/fairer-handel-verzeichnet-umsatzrueckgang-in-der-krise

[2] https://www.dgb-bildungswerk.de/sites/default/files/media/product/files/final_modsklaverei_2016_78s_web_lowres_0.pdf

[3] https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/postkolonialismus-und-globalgeschichte/236617/schluesselbegriffe

[4] https://www.tagesspiegel.de/wissen/nachwehen-des-kolonialismus-gewalt-und-ausbeutung-bis-in-die-gegenwart/25436902.html

[5] https://www.globalcitizen.org/de/content/9-modern-slavery-items-made-by-slaves-internationa/

[6] https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2021-06-22-corona-boom-supermaerkte-kasse-arbeiterinnen-zahlen-preis

[7] https://www.greenpeace.de/themen/waelder/amazonas/stimmen-aus-dem-amazonas

[8] https://www.gemeinsam-fuer-afrika.de/moderne-sklaverei/

[9] https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/lieferkettengesetz

[10] https://lieferkettengesetz.de/wp-content/uploads/2021/06/Initiative-Lieferkettengesetz_Analyse_Was-das-neue-Gesetz-liefert.pdf

[11] https://www.jetzt.de/politik/interview-mit-einer-professorin-fuer-supply-management

 

Zur Übersicht

BUND-Bestellkorb