BUND Kreisverband Stuttgart

Pestizidwende jetzt!

14. März 2022

Im Januar 2022 ist der neue Pestizidatlas vom BUND und der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen. Dies möchten wir zum Anlass nehmen, das Thema bei uns aufzugreifen, denn der Markt dafür wächst und Pestizide sind überall – nicht nur auf unseren Feldern, sondern auch in der Luft, im Wasser und bei uns auf dem Teller.

Traktor bringt Pestizide aus  (Mark Stebnicki / Pexels)

Gesundheitliche und rechtliche Probleme

Obwohl die negativen Auswirkungen von Pestiziden auf die Natur und die menschliche Gesundheit weithin bekannt sind und viele Mittel verboten wurden, ist die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln heutzutage so hoch wie nie. Insbesondere in den globalen Süden werden die Mittel exportiert, häufig auch solche, die in der EU aufgrund ihres Gefährdungspotentials nicht (mehr) zugelassen sind. In Lateinamerika, Asien und Afrika haben große Chemiekonzerne, zu denen auch die deutschen Unternehmen BASF und Bayer zählen, einen riesigen Markt. Von den weltweit jährlich rund 385 Millionen Pestizidvergiftungen sind die Menschen dort besonders betroffen. Aber auch in Deutschland werden nach wie vor große Mengen Pestizide eingesetzt, obwohl die EU inzwischen eine Reduktion fordert und insbesondere die junge Bevölkerung sich noch strengere Regeln von der Politik wünscht. Denn auch bei uns landen Lebensmittel, die Rückstände von Pestiziden aufweisen, in den Supermärkten. Diese unterliegen zwar Grenzwerten, die in der EU auch vergleichsweise streng sind, problematisch sind jedoch Mehrfachrückstände, also Belastungen mit verschiedenen Mitteln gleichzeitig, da es hier keine Summen-Höchstgehalte gibt. Außerdem nutzen Hersteller eine Art Schlupfloch im EU-Recht aus, um eine Zulassung trotz hoher Risiken auch in EU-Ländern erteilt zu bekommen, in denen sie eigentlich durchfallen würden. Sie können nämlich denjenigen Staat auswählen, der die Prüfung durchführt. Alle anderen Staaten müssen die Zulassung ebenfalls erteilen, selbst wenn das Urteil des erstbewertenden Staates angezweifelt wird, da der Rahmen für Abweichungsgründe extrem eng ausgelegt wird. So setzt sich nach und nach der niedrigste Standard durch, ohne dass die deutschen Behörden dies verhindern können.

Umweltschäden

Neben den gesundheitlichen Folgen sind Pestizide vor allem für die Natur eine große Bedrohung. Durch die Landwirtschaft gelangen sie in Böden und Gewässer sowie über die Luft in entfernte Gebiete und verbleiben dadurch lange Zeit in der Umwelt. Selbst wenn ein Stoff vom Markt genommen wird, kann dieser noch jahrzehntelang an Messstellen nachweisbar sein. Überdüngung und Pestizide sind mitverantwortlich für den schlechten Zustand deutscher Gewässer: Fast jeder fünfte Bach weist Überschreitungen der Pestizid-Grenzwerte auf und etwa ein Drittel des Grundwassers ist von schlechter Qualität. Neben den daraus folgenden indirekten Effekten bedrohen Insektizide, Fungizide und Herbizide die Biodiversität massiv, da sie nicht wie gewünscht nur Schädlinge außer Gefecht setzen. Sie schaden nämlich auch Nützlingen, die beispielsweise wichtig sind für die Bestäubung. Fehlt diese tierische Bestäubung, sind massive Ernteeinbußen die Folge, vor allem bei Obst und Gemüse. Durch den Pestizideinsatz schießt sich die Landwirtschaft also gewissermaßen selbst ins Bein. Hinzu kommt, dass der Klimawandel die Widerstandsfähigkeit von Pflanzen gegenüber Schädlingen senkt, was einen noch größeren Bedarf an Pflanzenschutzmitteln nach sich zieht.

Mögliche Alternativen

Welche Alternativen gibt es daher? Ein großes Versprechen der Industrie war der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, die selbst resistent gegen das Spritzmittel sind, weshalb weniger eingesetzt werden müsste. Es klingt zunächst vielversprechend: Das Glyphosat hemmt den Stoffwechsel von Pflanzen und damit ihr Wachstum, das zu schützende Saatgut bleibt davon jedoch verschont und nur die Konkurrenz geht zu Grunde. Entgegen dem versprochenen Rückgang ist die Glyphosatnutzung jedoch enorm gestiegen, zusammen mit der Verbreitung von gentechnischem Soja und Mais; die Erträge stiegen allerdings gerade einmal um 10%. Dafür entwickelten die Zielgewächse ebenfalls Resistenzen und lassen sich mit Glyphosat nicht mehr bekämpfen. Auch die direkte gentechnisch erzeugte Insektenresistenz von Nutzpflanzen brachte nicht den gewünschten Erfolg, denn nun entwickelten die Schadinsekten wiederum Resistenzen. Zudem werden auch andere Insekten wie Schmetterlinge geschädigt.

Ein anderer Ansatz ist die Digitalisierung der Landwirtschaft: Wildkrautnester aufspürende Drohnen, gezielt nach Unkraut suchende Spritzroboter und erkrankte Pflanzen ortende Algorithmen. Bisher ist noch unklar, ob solche verheißungsvollen neuen Technologien Fluch oder Segen sind, denn der höhere Energieverbrauch, die Kommerzialisierung durch Großkonzerne und die Verfügbarkeit für ärmere Länder müssen mitbedacht werden. Zumal die digitalen Helfer maximal eine Verringerung des Pestizideinsatzes bewirken würden und keinen kompletten Verzicht.

Wirkungsvolle Pflanzenschützer ohne Pestizide sind natürliche Helfer wie Schwebfliegen, Schlupfwespen oder Ohrenkneifer. Auch Pilze, Bakterien und sogar Vögel können Nützlinge sein. Die Ansiedelung von Schleiereulen nahe der Ackerflächen reduzierte beispielsweise in Israel und den USA die Mäusebestände auf den Feldern. Marienkäfer bekämpfen erfolgreich Blattläuse und einige weitere Schädlinge. Sie brauchen dafür jedoch gute Lebensbedingungen in der gesamten Landschaft. Die Felder sollten nicht zu groß sowie von Hecken oder Blühstreifen durchzogen und durch abwechslungsreiche Feldsäume begrenzt sein, um effektiv von den Helferlein besiedelt zu werden. In einem pestizidfrei bewirtschafteten Feld finden sich laut einer Studie fünfmal so viele Pflanzen- und zwanzigmal so viele Bestäuberarten wie auf konventionellen Feldern, während Blattläuse fünfmal seltener vorkommen.

Die Fakten sprechen für sich: Im Angesicht des Artensterbens muss eine ökologische Kehrtwende in der Agrarwirtschaft erfolgen, was sich auch die Zivilgesellschaft wünscht. Länder wie Luxemburg oder Kirgistan wagen hier bereits radikale Verbote. Bleibt zu hoffen, dass auch die deutsche Bundesregierung auf die Forderungen aus der Bevölkerung nach mehr ökologischem Anbau eingeht und der rechtliche Rahmen auf EU-Ebene reformiert wird.

Quellen:

Pestizidatlas, Eiermacher/Puchalla, CC BY 4.0
https://www.boell.de/sites/default/files/2022-01/Pestizidatlas2022_Web_20220108.pdf?dimension1=ds_pestizidatlas22

Umweltbundesamt, „Pestizidzulassungen hebeln Umweltschutz aus“ '
https://www.umweltbundesamt.de/themen/pestizidzulassungen-hebeln-umweltschutz-aus

 

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